Steuerliche Rahmenbedingungen

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Doppelverdiener

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Familienlohn eingeführt. Der Familienlohn ist dabei ein an dem Familienbedarf eines individuellen Arbeiters bemessener zusätzlicher Lohn. In dieser Zeit wurden auch Familienzuschläge diskutiert und von verschiedenen Unternehmen eingeführt. Hier wurde zwischen der Leistung eines Arbeiters und dem Bedarf, z.B. durch eine Familie, unterschieden und entsprechend entlohnt. Damit erfolgte auch die Unterscheidung zwischen verheirateten und unverheirateten Arbeitern.[1]

Seit in den 1920er Jahren Frauen sich den Zugang zu Berufen erkämpft haben, die auch Männer interessieren – nahm die „Doppelverdienerkampagne“ Fahrt auf. Frauen wurden mit Eheschließung aus ihrem Beruf gedrängt. Der Verdrängungsprozess wurde durch die Ehegattenbesteuerung unterstützt: Beide Einkommen wurden zusammengerechnet und als „Haushaltseinkommen“ nach derselben Tabelle wie für Einzelpersonen besteuert. Damit fiel das zweite Einkommen nahezu komplett der Steuer zum Opfer. Schon damals wurde das Ehepaar als Einheit gesehen, die doppelt verdiente.

Die Familienleistungen, die ab den 1950er Jahren eingerichtet wurden, wie z.B. das Kindergeld, setzten dabei den Familienlohn als Basis voraus.

1957 erklärte das Bundesverfassungsgericht diese Form der Bestrafung von ehelicher Erwerbsarbeit für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hätte in dieser Situation die Chance ergreifen können, den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG durch die Einführung der verbindlichen Individualbesteuerung umzusetzen. Derartig viel Gleichheit war aber nicht gewollt: Die Abgeordneten hielten stattdessen am steuerlichen Begriff des Haushaltseinkommens fest und führten als Neuerung lediglich den Splittingtarif ein, mit dem jedem Ehepartner die Hälfte dieses Einkommens zugerechnet wurde – unabhängig vom tatsächlich erarbeiteten Verdienst. Im Fachsprech der Steuerrechtler mutierten damit die „Doppelverdiener“ zu „Beidverdienern“.

Das Verfahren wurde als Familienförderung etikettiert. Allerdings: Wenn die Beidverdiener gleich viel verdienen, wirkt sich der Splittingeffekt nicht aus. Dann gibt es auch keinen Raum für diese Form der Familienförderung. Wenn jedoch der „Zweitverdiener“ (typischerweise die Frau) weniger verdient, greift der „Splittingvorteil“ und kann sich als Motivationsbremse für die Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung auswirken.

"Der deutsche Sozialstaat weist im Vergleich westlicher Industriestaaten [...] eine besonders starke Orientierung an der männlichen Ernährernorm auf, was sich auch in einer nurmehr moderaten Modernisierung des traditionellen Ernährermodells durch Ausweitung weiblicher Teilzeitbeschäftigung und in einer hohen geschlechtsspezifischen Lohnlücke niederschlägt"[2]

Ehegattensplitting

Das Thema Ehegattensplitting ist das Kontinuum der Gleichstellungsdebatte: Es entfaltet seinen größten Effekt, wenn ein Partner kein Einkommen erzielt oder höchstens im abgabenprivilegierten Minjob arbeitet. Wissenschaftliche Untersuchungen wie auch die tägliche Lebenserfahrung belegen, dass diese Form der Ehegattenbesteuerung ein wesentlicher Stabilisator des überkommenen „Alleinverdienermodells“ ist, welches mit einem möglichen Arbeitsplatzverlust, Erwerbsunfähigkeit oder gar dem Tod desselben den anderen Partner in eine Existenzkrise stürzt. Nach jüngster Rechtsprechung des Bundesverfassungerichts können auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften von diesem Relikt aus den 1950er Jahren „profitieren“ – wenn sie die überkommene Aufgabenteilung leben und ihre Beziehung als eine Wirtschaftsgemeinschaft sehen, bei der es unerheblich ist, was der/die Einzelne zum Familieneinkommen beiträgt.

Die Sachverständigenkommission für den Gleichstellungsbericht sieht im Ehegattensplitting, insbesondere der hohen Grenzsteuerbelastung der „Hinzuverdienerin“ in Lohnsteuerklasse V, einen Anreiz für eine Einschränkung der Erwerbstätigkeit von (verheirateten) Frauen. Ihr Vorschlag: Die Lohnsteuerklassenkombination III/V durch die Lohnsteuerklassenkombination IV/IV mit Faktor zu ersetzen. Bei der Ehegattenbesteuerung sollte grundsätzlich auf den in Europa weit verbreiteten Modus der Individualbesteuerung umgestellt werden.

siehe auch: Dr. Maria Wersig - der lange Schatten der Hausfrauenehe

Internationale Perspektive

Außerhalb Deutschlands kennen in der EU nur Luxemburg und Polen in der Einkommenssteuer das Ehegattensplitting.

In Schweden galt eine Splittingregelung, die als Folge der Gleichstellungsdebatte in den 1960er und 1970er Jahren abgeschafft wurde. Heute gilt in Schweden die Individualbesteuerung als selbstverständlich und nicht mehr in Frage gestellt.

Weitere Formen des Ehegattensplittings, wie das Familiensplittings, werden in Frankreich und Portugal angewandt. Hier hängt der Splittingvorteil für Familien u.a von der Anzahl der im Haushalt lebenden Kindern ab.

Beitragsfreie Mitversicherung

Ehepartnerinnen und Ehepartner mit Einkünften unterhalb von 450 Euro monatlich beitragsfrei bei ihrem krankenversicherten Ehepartner mitversichert werden. Diese Praxis untergräbt Arbeitsanreize von Frauen und begünstigt die Einverdienerehe. Außerdem betragen die Kosten für die beitragsfreie Mitversicherung in den gesetzlichen Krankenversicherungen die Steuerzahler schätzungsweise 10 Mrd. Euro pro Jahr.

Eine Alternative entwickelte hier die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2010 - das Beitragssplitting. Beim vorgeschlagenen Splitting wird das Bruttoeinkommen halbiert. Jede Hälfte wird mit einem eigenen Beitrag zu den gesetzlichen Krankenversicherungen belastet. Bei einem Gesamteinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze ist es unerheblich, wer welches Einkommen beisteuert, erst darüber wird es teurer - wie auch bei Doppelverdienern. [3]

Einzelnachweise

  1. Gottschall & Schröder, 2013, S. 6-7
  2. Gottschall & Schröder, 2013, S. 8
  3. Greß & Rothgang, 2010

Quellen

BMFSFJ (2011). Neue Wege - Gleiche chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebenslauf. Erster Gleichstellungsbericht. Drucksache 17/6240.

Gottschall, Karin & Schröder, Tim (2013): 'Familienlohn' - Entwicklung und sozialpolitische Flankierung der Erwerbseinkommen von Normalarbeitnehmern. In ZeS Report 18. Jahrgang, Nr. 1, Juni 2013, S. 4-12 Dieser Beitrag ist Teil des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojektes "Was kommt nach dem Familienlohn? Probleme und Möglichkeiten der Regulierung von Einkommensrisiken bei Normalarbeitnehmer/innen"

Ambassador's Blog - Schweden in Deutschland (2015): Women at Work

Greß, Stefan & Rothgang, Heinz (2010): Finanzierungsreform der Krankenversicherung in Deutschland - Vorschläge für ein Maßnahmenbündel jenseits der Kopfpauschale. Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Friedrich Ebert Stiftung

Factsheets zum ersten Gleichstellungsbericht Pdf-icon.gif Download PDF

Gutachten zum zweiten Gleichstellungsbericht

Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland

DIW: Ehegattenbesteuerung - Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag schafft fiskalische Spielräume

DIW: Reform des Ehegattensplittings würde Arbeitsanreize für Zweitverdiener verbessern

Bundeszentrale für politische Bildung: Steuerpolitik. APuZ 23-25/2017