Schwerpunktthema 2020: Auf Augenhöhe verhandeln - WIR SIND BEREIT.

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Gespräche über Geld sind für die meisten Menschen emotionsbeladen. Das wirkt sich auch auf Gehaltsverhandlungen aus. Doch beim Blick auf die Lohnlücke fällt auf: Diese wird oft zu einem beachtlichen Teil der Zurückhaltung von Frauen angelastet. Ausgangspunkt des Schwerpunktthemas 2020 ist die Annahme, Frauen stünden sich und ihrer Karriere selbst im Weg, da sie ihre Chancen in Bewerbungssituationen oder Verhandlungssituationen nicht nutzten, um ein höheres Gehalt zu erzielen oder in Verhandlungen andere Prioritäten setzen. Denn Frauen wollen verhandeln, das ist Fakt.

Noch immer kreisen um das Thema Frauen und Gehaltsverhandlungen viele Mythen und teils unterschiedliche wissenschaftliche Studienergebnisse. Daher gilt es faktengestützte Tatsachen zu ordnen und tradierte Vorurteile zu entlarven. Zumindest einige Studien weisen darauf hin, dass Frauen bei Gehaltsverhandlungen zu defensiv auftreten. So nennen Frauen im Bewerbungsgespräch Wunschgehälter, die unter ihren eigenen Erwartungen liegen. Geleitet von anerzogenen Attributen wie Empathie und Harmoniebedürfnis, akzeptieren sie zusätzlich weitere Abschläge.

Warum nur? Verhandlungssituationen rufen Stereotype und Rollenerwartungen auf beiden Seiten hervor. Weibliche Forderungen werden anders bewertet. Was bei Männern Durchsetzungsstärke ist, wird bei Frauen nicht selten als Verbissenheit beurteilt. So führen Rollenstereotypisierungen von Personalverantwortlichen dazu, dass Bewerberinnen nicht derselbe Verhandlungsspielraum zugestanden wird oder Verhandlungsversuche häufiger negativ gewertet werden als bei männlichen Konterparts. Es widerspricht den Erwartungen eines angemessenen, stereotypen, sympathischen Verhaltens von Frauen. Auch Frauen spüren die Signale, was Ihnen zugestanden wird und was nicht. Aber auch einepräferenzbasierte Diskriminierung auf Arbeitgebendenseite führt zu einer pauschal geringeren Gehaltseinstufung von Frauen, indem von Vornhinein von Produktivitätseinbußen aufgrund von Erwerbsunterbrechungen ausgegangen wird.

Gleichzeitig müssen Verhandlungskompetenzen nicht an der Bürotür wieder abgegeben werden. Wer gut verhandeln kann, wird sich auch im Privaten für eine gerechtere Aufteilung von Erziehungs- und Hausarbeit bemühen. Eine partnerschaftliche Aufteilung der privaten Pflichten wirkt auf die Verfügbarkeit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zurück.

Im Kampagnenjahr 2020 des Equal Pay Day wollen wir es wissen: Verhandeln Frauen schlechter oder einfach nur anders? Wie schaffen wir es, allen Stereotypen zum Trotz, uns im Beruf auf Augenhöhe zu begegnen? Wie garantieren wir transparente Prozesse und nachvollziehbare Bewertungskriterien beim Poker um Gehalt, beruflichen Aufstieg und nicht zuletzt faire Aufgabenteilung im Privaten? Eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema steht uns beim Auftaktforum am 4. November 2019 bevor.

Auftaktforum zur Equal Pay Day Kampagne am 4. November 2019 in Berlin

Unter dem Motto „Auf Augenhöhe verhandeln – WIR SIND BEREIT.“ startete am 4. November die Kampagne zum Equal Pay Day 2020 im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ). Uta Zech, Präsidentin des BPW Germany e.V. führte knapp in das Thema ein und stellte fest: „Frauen wollen verhandeln. Und sie geben ihre beruflichen Ambitionen nicht im Kreissaal ab.“ Im Anschluss begrüßte Staatssekretärin Juliane Seifert. Sie berichtete von den aktuellen politischen Maßnahmen, die die beruflichen Chancen von Frauen fördern. Die seit 2016 geltende Geschlechterquote für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten zeigt Wirkung. Bei der Evaluation des Entgelttransparenzgesetzes zeigte sich zwar, dass das Gesetz von den Beschäftigten noch zurückhaltend genutzt wird. Für viele Unternehmen ist aber Transparenz mittlerweile ein Standortvorteil. 45 Prozent überprüften freiwillig ihre Entgeltstrukturen.

Den ersten Impulsvortrag hielt Dr. Benita Combet von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Soziologin sprach zu Mythos und Wirklichkeit beim Thema Frauen in Gehaltsverhandlungen. Sie identifizierte diverse Mythen, die gern bemüht werden, um das Lohngefälle zu rechtfertigen. Die „Humankapitaltheorie“ geht davon aus, dass Frauen schlechter ausgebildet sind und über weniger Berufserfahrung verfügen. Frauen sind aber mittlerweile in nahezu allen westlichen Industrieländern besser ausgebildet als Männer. Auch die Idee, dass das Gehaltsgefälle durch Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Geschlechtern bedingt ist, die dazu führen, dass Frauen sich eher um Familienaufgaben kümmern, kann widerlegt werden. Stattdessen zeigen Studien, dass bereits vor der Familienphase Frauen im Schnitt 3 bis 5 Prozent weniger Gehalt erhalten. Es drängt sich beim Thema, so schlussfolgerte Combet, vielmehr eine systematische Diskriminierung als Erklärungsmuster auf, die auch in Gehaltsverhandlungen zum Tragen kommt. Hier verhandeln Frauen nicht schlechter, sondern werden in ihren Forderungen anders wahrgenommen und für das Initiieren von Gesprächen häufiger abgestraft.

Verhandlungsexpertin und Autorin Anja Henningsmeyer lieferte im Anschluss in ihrem Vortrag Tipps für die Praxis. Die Spracherkennungssoftware „Siri“ weist den Weg: Sie macht aus „Equal Pay“ „Ick will pay“. Henningsmeyer riet, Verhandlungen als Spiel zu betrachten, in denen nicht der eigene Selbstwert verhandelt wird, sondern zunächst nur eine Zahl. Auch würden Frauen dazu neigen, Verhandlungen wortreich zu führen. Dabei erweise sich Zuhören manchmal als die bessere Taktik. Auch bewusst gesetztes Schweigen oder Pausen können Wunder wirken. Schließlich sollte der Beziehungsaspekt nicht auf die Verhandlungssituation übertragen werden. Ein respektvoller Umgang miteinander ist ausreichend, Frauen müssen nicht „gemocht“ werden. Wer Arbeits- und Beziehungsebene trennt, kann die Zurückweisung von Forderungen besser akzeptieren, ohne dass die Arbeitsbeziehung belastet wird. Ein günstigeres Verhandlungsergebnis wartet zudem auf alle, die nicht nur mit einer einzelnen Forderung ins Gespräch gehen.

Prof. i. R. Dr. phil. Christiane Funken von der Technischen Universität Berlin referierte zu „Unconscious Bias“ in der Arbeitswelt. Er fußt auf Wissens- und Machtsilos, die immer noch anzutreffen sind. Viele Vorgesetzte zeichnen sich durch ein heroisches und hierarchisches Management aus. Auch informelle Spielregeln der „Old Boys Networks“ sind für Frauen nur schwer zu durchbrechen. Demgegenüber steht ein grundlegender Wandel unserer Lebens- und Arbeitswelt: Globalisierung und Digitalisierung zwingen Unternehmen zur Veränderung. Bei den Beschäftigten ist eine Verschiebung der Erwerbsorientierung zu beobachten: Zufriedenheit, Nachhaltigkeit, Sozialverträglichkeit und Freizeitorientierung sind heute bestimmende Kriterien bei der Wahl der Beschäftigung. Zudem wandeln sich die Geschlechterverhältnisse grundlegend. Männer wollen aktive Väter sein, auch wenn bei vielen im beruflichen Kontext die Art der Performance immer noch traditionell ist. Strukturen und kulturelle Mechanismen, die „Unconsious Bias“ fördern sind beharrlich, so Funken. Erstmals in der Geschichte wirken aber die oben erwähnten Modernisierungsströme gleichzeitig. So bietet sich eine echte Chance für Veränderung, in der Frauen aufgerufen sind, ihren Marktwert zu erkennen und ihren Platz einzufordern. Neue Formen der Wissensarbeit, die auf Kommunikation, Kooperation und Interaktion setzen, bieten hier beste Möglichkeiten. Und Unternehmen werden bemerken, dass sie auf Frauen besonders angewiesen sind.

Noch ist die familiäre Sorgearbeit allerdings überwiegend weiblich und führt teilweise zu langen Auszeiten. Welche Hilfsangebote es für einen gelungenen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gibt, erläuterte Sabine Christen. Sie ist stellvertretende Leiterin des Referats Arbeitsmarkt im Bundesfamilienministerium und ist verantwortlich für das Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“. Wiedereinsteigerinnen sind zu 50 Prozent über 40 Jahre alt und im Schnitt 6 Jahre aus dem Arbeitsmarkt ausgestiegen. Die Frauen treffen auf Vorbehalte von Arbeitgebenden, die insbesondere Alleinerziehende und/oder sehr gut ausgebildete Akademikerinnen erreichen. Das Aktionsprogramm bietet hier Informations- und Unterstützungsangebote vom Wiedereinstiegsrechner bis zur Vermittlung digitaler Kompetenzen.

Die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Alles verhandelbar?! Finanziell unabhängig und privat gleichberechtigt“ wurde von Uta Zech moderiert. Patricia Cammarata, Autorin und Bloggerin, Laura Rauschnik, Projektleiterin beim DBG, Katrin Wilkens, Jobprofilerin, Almut Schnerring, Autorin und Aktivistin und Klaus Schwerma, stellvertretender Geschäftsführer des BUNDESFORUM Männer spannten den Bogen von Gendermarketing über die Wichtigkeit von Verhandlungen in der Partnerschaft und den Nutzen von Projektmanagementtools über die Notwendigkeit von Tarifverträgen, familienfreundlichen Maßnahmen in Unternehmen bis zur Verantwortung von und Chance für Männer, die ebenso davon profitieren, wenn die „Alleinernährerverantwortung“ aufgeweicht werden kann.

Die Impulse und Diskussionen zeigten, dass Entgeltgleichheit nur zu erreichen ist, wenn der Verhandlungsbegriff auch auf das Private ausgedehnt wird. Nur eine gleichberechtigte Teilung von Familien- und Sorgearbeit ermöglicht allen Geschlechtern die volle Wahrnehmung ihrer beruflichen Chancen. Frauen wollen verhandeln und tun dies nicht schlechter, sondern maximal anders als Männer. Im beruflichen Kontext muss bei Personalverantwortlichen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Rollenstereotype wirken. So können Instrumente geschaffen werden, die alte Verhandlungsmuster durchbrechen.

Die Equal Pay Day Kampagne dankt allen Referierenden und Teilnehmenden, die zum Erfolg des Auftaktforums beitrugen. Seit 13 Jahren fußt die Equal Pay Day Kampagne auf dem bundesweiten ehrenamtlichen Engagement der lokalen BPW Clubs und unzähliger anderer Akteurinnen und Akteure. Wir freuen uns, mit ihnen am 17. März 2020 erneut eine rote Welle für Lohngerechtigkeit durchs Land rollen zu lassen. Wir sind bereit. Sind Sie dabei?

Programm zur Veranstaltung

Präsentation zur Veranstaltung

Literatur zum Schwerpunktthema

Katrin Auspurg, et al.: Why Should Women Get Less? Evidence on the Gender Pay Gap from Multifactorial Survey Experiments, in: American Sociological Review, 2017

Benita Combet, Daniel Oesch: The Gender Wage Gap Opens Long before Motherhood. Panel Evidence on Early Careers in Switzerland, in: European Sociological Review, 2019

BMFSFJ: Dauerhaft ungleich - berufsspezifische Lebenserwerbseinkommen von Frauen und Männern in Deutschland, 2016

Workplace Gender Equality Agency: Gender and Negotiation in the Workplace, 2018

Kirsten Wüst, Brigitte Burkart: Schlecht gepokert? Warum schneiden Frauen bei Gehaltsverhandlungen schlechter ab als Männer?, Budrich Journals, 2012

Pressemitteilungen zum EPD 2019

Pressemitteilung zum EQUAL PAY DAY 2020 Auftaktforum: Auf Augenhöhe verhandeln – WIR SIND BEREIT.

Weiterführende Informationen

Brigitte | 30.09.2019 | Die besten Arbeitgeber für Frauen