Rechtsprechung in der Europäischen Union

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Das Recht auf gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit ist seit 1957 in den europäischen Verträgen verankert. Im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus dem Jahr 1957 ist dieser Grundsatz in Art. 119 festgeschrieben. Seitdem ist es möglich, die Vertragspflichten durch den Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen.

Art. 119: "Jeder Mitgliedstaat wird während der ersten Stufe den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und in der Folge beibehalten. [...] Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bedeutet:

a) dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit auf Grund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird;

b) dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist."

Im heutigen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist das Recht auf gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit in Art. 157 festgeschrieben.

Im Folgenden werden die wichtigsten Fälle zum Thema geschlechtsspezifische Lohnlücke und Lohngerechtigkeit genannt.

Defrenne C-43/75

Im Fall Defrenne No. II aus dem Jahr 1976 hat der Europäische Gerichtshof beschlossen, dass europäisches Recht, also auch Art. 119, in dem das Recht auf gleiche Bezahlung verankert ist, unmittelbare Wirkung auf nationales Recht hat. Der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung (oder der unmittelbaren Anwendbarkeit) ermöglicht es Individuen - unter bestimmten Voraussetzung -, sich unmittelbar vor einem nationalen Gericht auf eine EU-Rechtsvorschrift zu berufen.

Danfoss C-109/88

Im Fall Danfoss aus dem Jahr 1989 hat der Gerichtshof geurteilt, dass aufgrund der Intransparenz von Gehaltsstrukturen in Unternehmen die Beweislast nicht bei den Klägern, respektive der Arbeitnehmenden, sondern bei den Beklagten, den Arbeitgebern, liegt.

Bilka C-170/84

Im Fall Bilka entschied der Gerichtshof, dass ein Unternehmen Arbeitnehmende aus der betrieblichen Altersvorsorge ausschließen darf, solange diese Maßnahme auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Weiterhin kann ein Unternehmen Teilzeitbeschäftigte unabhängig von ihrem Geschlecht von der betrieblichen Altersversorgung ausschließen, wenn es möglichst wenige Teilzeitkräfte beschäftigen will und das gewählte Mittel ein wirkliches Bedürfnis des Unternehmens ist. Auch hat der EUGH entschieden, dass Unternehmen nicht verpflichtet sind, die für seine Beschäftigten vorgesehene Versorgungsordnung so auszugestalten, dass die für Arbeitnehmer mit familiären Verpflichtungen bestehenden besonderen Schwierigkeiten, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Betriebsrente zu erfüllen, berücksichtigt werden.

Enderby C-127/92

Im Fall Enderby aus dem Jahr 1992 hat der Gerichtshof entschieden, dass der Arbeitgeber nur dann unterschiedliche Gehälter zahlen darf, wenn dieser objektive Gründe vorlegen kann, dass sich die verglichenen Tätigkeiten unterscheiden. Weiterhin hat der Gerichtshof entschieden, dass Gehaltsunterschiede in Tarifverträgen nicht rechtens sind, auch wenn geschlechterspezifische Gehaltsunterschiede nicht Teil der Tarifverhandlungen waren. Insgesamt muss der Grundsatz der Gleichbehandlung bei Tarifverhandlungen eingehalten werden.

Schröder C-50/96

Im Fall Schröder wurde das wirtschaftliche Ziel von Art. 119 in den Hintergrund gesetzt. Das Gericht entschied, dass Art. 119 vor allem ein soziales Ziel verfolgt sowie den Ausdruck eines Grundrechts darstellt.

Kenny C-427/11

Der EUGH hat im Fall Kenny entschieden, dass Arbeitgeber im Rahmen einer mittelbaren Entgeltdiskriminierung eine sachliche Rechtfertigung für den festgestellten Entgeltunterschieds zwischen den Arbeitnehmern vorlegen können. Statistische Angaben dürfen dabei berücksichtigt werden, wenn sie sich auf eine ausreichende Zahl von Personen beziehen, sie nicht rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln und sie generell gesehen als aussagekräftig erscheinen. Das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen darf neben anderen objektiven Umständen berücksichtigt werden, wenn diese mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang stehen.

Rechtsakte

Im Jahr 2006 wurde die Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) verabschiedet, welche zum einen den bestehenden Grundsatz der Entgeltgleichheit und bisherige Rechtsprechung vereint. Zum anderen enthält die Richtlinie Umsetzungsmöglichkeiten für die Mitgliedsstaaten, wie z. B. der Einrichtung von speziellen Stellen, die bei Entgeltdiskriminierung unterstützend tätig werden können.

Quellen

Academy of European Law: Hintergrunddokumentation Recht der Geschlechtergleichstellung in der EU

Craig, P. & De Búrca, G. (2008). Equal Treatment of Women and Men. In Craig, P. & De Búrca, G. (eds.). EU Law: Text, Cases and Material. 4th Edition. Oxford: Oxford university Press. S. 874-949.

Die unmittelbare Wirkung des EU-Rechts

Siehe auch

Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Zusammenfassung ausgewählter EuGH-Entscheidungen zum Antidiskriminierungsrecht ab dem Jahr 2000, 2016

Academy of European Law: Gender Documentation

Europäisches Parlament: Gleichstellung von Männern und Frauen

European Commission: The Gender Pay Gap from a Legal Perspective

European Commission: The Gender Pay Gap from a Legal Perspective - including 33 Country Reports